Als Thomas K. in einer nebligen Novembernacht gegen halb drei am Morgen mit dem Rad auf dem Heimweg nach einer anstrengenden Spätschicht war und über die Rheinpromenade Richtung Oberkasseler Brücke fuhr, traute er seinen Augen nicht. Oben hinter den Fenstern des Schlossturms bewegte sich eine leuchtende Silhouette. Er hielt auf dem Burgplatz an, denn das Phänomen nahm ihn gefangen. Erst dachte er an den Kegel einer Stablampe, vielleicht benutzt von einem Wachmann. Als er aber genauer hinsah, erkannte er die Umrisse einer Person in weißem Gewand, die in dem Teil des Turms, der Laterne heißt, hin und her schwebte. Schließlich näherte sich die Gestalt einem der Fenster, und Thomas erkannte, dass sie ihn anstarrte. Als geborener Düsseldorfer wusste er: In diesem Moment war ihm die Weiße Frau begegnet, die seit über 400 Jahren im Schlossturm spukt.

Man muss nicht an Gespenster glauben, um sich vorstellen zu können, dass die Seele der Jakobe von Baden keine Ruhe findet. Im alten Schloss, zu dem der Turm einst zählte, hat man sie über Jahre gequält und schließlich ermordet. Sie wurde Opfer einer unglaublichen Geschichte voller Verschwörungen und Intrigen, in die sie unschuldig geriet. Man sagt, sie sei eine sehr schöne Frau gewesen, edel und fromm dazu. Sie wurde 1558 in Baden-Baden geboren, war früh Waise und wuchs bei einem Onkel in München auf. Als man ab etwa 1580 eine passende Frau für Johann Wilhelm, den Thronerben des Herzogtums Jülich-Kleve-Berg suchte, fahndete man vor allem nach einer möglichst katholischen Gattin, um so das Herzogtum fester an die katholische Kirche zu binden. Dieser Johann Wilhelm – nicht zu verwechseln mit Jan Wellem – residierte in Düsseldorf, damals einem eher unbedeutenden Nest. Weil aber das Herzogtum in den Wirren jener Jahre eine entscheidende Rolle spielte, war eine Hochzeit und ein daraus hervorgehender Erbe von großer Bedeutung im damaligen Machtgefüge.

Der schwer gestörte Gatte

Nun war – nach allem was wir wissen – dieser Johann Wilhelm ein psychisch schwer gestörter Mann, jähzornig, misstrauisch, eitel und verschwendungssüchtig. Nachdem die geschäftlichen Dinge seiner ehelichen Verbindung mit Jakobe geregelt waren, ordnete er an, mehrwöchige, gigantische und extrem kostspielige Hochzeitsfeierlichkeiten abzuhalten. Die Vorbereitungen zogen sich über fast drei Jahre hin, und rund um die eigentliche Hochzeit am 16. Juni 1585 bot das Herzogtum Hunderten Adliger aus ganz Europa Quartier – und zwar vom Allerfeinsten. Mit dem jeweiligen Tross sollen es fast anderthalb Tausend Menschen gewesen sein, die in Düsseldorf einfielen. Wo das Städtchen selbst kaum 2.000 Einwohner zählte. Kurz und gut: Der Herzog und sein kleines Reich waren nach dem Ende der prunkvollen Feierlichkeiten pleite.

Wie oft sich Johann Wilhelm und Jakobe überhaupt je gesehen haben, ist unklar. Öfter als drei, vier Dutzend Mal werden sich die Beiden in den knapp zwölf Jahren bis zu ihrem frühen und gewaltsamen Tod nicht gesehen haben. Vermutlich unternahmen sie in den ersten Jahren ein paar Versuche, Erben zu zeugen, aber aller Wahrscheinlichkeit war der Gatte impotent oder auf irgendeine andere Weise nicht zeugungsfähig. Mit zunehmender Psychose nahm seine Fähigkeit, die herzoglichen Geschäfte zu führen, immer mehr ab; die Macht der diversen Verwalter wuchs zusehends. Also versuchte Jakobe ab etwa 1590, das Amt im Namen ihres kranken Gatten zu übernehmen. Außerdem nahm sie ich einen deutlich jüngeren Liebhaber, und weil ihre Leibdienerschaft nicht dichthielt, schuf sie einen schlagkräftigen Anlass für die Verwalterschaft und vor allem ihre Schwägerin Sibylle, sie nicht nur abzusetzen, sondern aus dem Weg zu schaffen.

Die Ermordung

Man zeigte sie bei der Kirche an und setzte alles daran, dass ihr in Rom und später in Prag der Prozess gemacht wurde. Schon 1594 ließen Sibylle und die Beamten sie festsetzen – und zwar im Schlossturm, dem einzigen Relikt des 1872 restlos abgebrannten Schloss der Herrscher von Berg. Aus ihrer Liaison mit dem jungen Dietrich von Hall zu Ophoven versuchte man abzuleiten, dass sie eine Hexe sei, die nach den damals herrschenden Gesetzen nach schwerer Folter hinzurichten sei. Aber die Anschuldigungen führten zu keinem Prozess; auch weil die Instanzen der katholischen Kirche am Tod der Jakobe kein Interesse hatten. Also wurde sie auf Befehl ihrer Schwägerin am 3. September 1597 in ihren Räumen im Turm erdrosselt.

Tatsächlich sollte man sich ihre Gefangenschaft nicht so vorstellen, als habe sie im Kreise von Ratten bei Wasser und Brot in einem feuchten Kerker gehockt. Mehr als ein Hausarrest war nicht nötig, um sie kaltzustellen. Sie hatte weiterhin ihr eigenes Personal und durfte Besuch empfangen. Genau das hatte sie am Vorabend ihrer Ermordung getan. Wer genau Jakobe von Baden auf dem Gewissen hat, ist unbekannt. Wohlwissend, dass die Nachricht ihres gewaltsamen Ablebens für erheblich Unruhen im europäischen Adel führen konnten, wurde ihre Todesursache geheimgehalten. Man beerdigte sie zehn Tage später in aller Stille in der Kreuzherrenkirche, ohne einen an sie erinnernden Grabstein zu setzen. Erst 1820, inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass sie ermordet worden war, bettete man ihre sterblichen Überreste nach St. Lambertus um, der eigentlichen Schlosskirche.

Ihrem Gatten, der immer mehr in geistiger Umnachtung versank, aber erst 1609 starb, versuchte man eine neue Ehefrau zuzuführen, um so die männliche Nachfolge der Jülicher Grafen zu sichern. Aber auch bei Antonie von Lothringen kam es zu keiner Schwangerschaft. Außerdem hatten die Verwalter, Beamte und Räte ihre Macht inzwischen so weit gefestigt, dass Johann Wilhelm nichts mehr zu sagen hatte.

Die Erscheinung

Schon knapp zehn Jahre nach ihrer Ermordung entstand die Legende von der Weißen Frau, die in Düsseldorf zu einem festen Teil der Folklore wurde. Im Zeitalter der Romantik ab dem Ende des 18. Jahrhunderts tauchen die ersten Berichte über Sichtungen des Schlossturmgespenstes auf – der große Dichter Heinrich Heine kannte die Legende und hat sie in einem Gedicht (Das Buch Le Grand) mit der Zeile „…auf der einen Seite liegt das alte, verwüstete Schloß, worin es spukt und nachts eine schwarzseidene Dame ohne Kopf mit langer, rauschender Schleppe herumwandelt…“ verewigt. Tatsächlich wird Jakobe, wie damals üblich, meistens in einer schwarzseidenen spanischen Tracht zu sehen gewesen sein. Erst durch eine Fülle an Märchen und Mythen rund um weibliche Gespenster, die allesamt als weiß gekleidet beschrieben werden, wurde aus ihr die Weiße Frau im Schlossturm.

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Eine gespenstische Persil-Werbung

Es spricht eine Menge dafür, dass es diese Legende war, die im frühen 20.Jahrhundert Reklamespezialisten der Firma Henkel dazu inspirierten, eine weiße Frau als Werbefigur zu schaffen. Aber es ist nicht nur die Dame im wehend weißen Kleid, die viele Jahre lang Hunderte von Litfaßsäulen, Plakatwänden und Ladenschilder zierte, die der Persil-Werbung eine gespenstische Note gab. Auch ein Anzeigen- und Plakatmotiv erinnert – wenn man von Jakobes Schicksal weiß – an die Weiße Frau, die auch heute noch durch den Schlossturm am Burgplatz spukt.

Leider aktuell vergriffen ist das Standardwerk über Jakobe von Baden, das die Düsseldorfer Historikerin Marlies Döring 2010 veröffentlicht hat. Wer ein gebrauchtes Exemplar ergattern kann, wird eine spannende, faktenreiche Kriminalgeschichte vorfinden.

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