Drüben in Düsseltal gibt es längst der Buschermühle hin zum Bahnhof Derendorf eine Straße, die wir als Kinder immer so aussprachen: Mullwahnni-Straße. Natürlich hatten wir – wie bei den meisten anderen Straßen auch – keine Ahnung, woher der Name kam. Um ehrlich zu sein: Der Verfasser wusste bis vor wenigen Wochen nicht, nach wem diese unscheinbare Straße benannt ist. Erst ein Düsselquiz brachte die Lösung. Namensgeber ist der irische Unternehmer und Ingenieur William Thomas Mulvany, der ab 1855 in Düsseldorf wohnte und im Ruhrgebiet entscheidend tätig war. Und natürlich sagt man „Mallwänni“ und betont das auf der ersten Silbe. Man kann ohne Übertreibung sagen: Ohne Mulvany wäre das Revier an Rhein und Ruhr nie zu einem derart gewaltigen Steinkohlengebiet und Düsseldorf nie Schreibtisch des Ruhrgebiets geworden.
Gelernt hat der Mann das technische Zeichen und wurde mit 20 staatlicher Landvermesser. Rein praktisch bildete er sich so fort, dass er mit Mitte Dreißig das Wissen der Ingenieure der damaligen Zeit besaß. Besonders interessierte er sich für den Wasserbau, speziell für die Gestaltung von Wasserstraßen. Seit mehr als tausend Jahren spielte die Binnenschifffahrt die Hauptrolle beim Transport von Gütern über lange Strecken – schon die Römer planten und bauten Kanäle, um Wege zu verkürzen, und die Administration Napoleons war geradezu verrückt danach, Flüsse mit Kanälen zu verbinden. Davon wusste Mulvany. Außerdem war auch die Industrialisierung des Fischfangs eines seiner Interessensgebiete.
Wegen seiner Fähigkeiten kam er zur staatlichen Wasserbehörde und setzte erfolgreich Programm zur Landentwässerung auf. Dies mit dem Ziel, die Möglichkeiten der irischen Landwirtschaft zu verbessern, damit sich das Volk ernähren konnte. Während der Großen irischen Hungersnot (1845 bis 1849), während der fast ein Drittel der Bevölkerung nach England, Schottland und vor allem in die USA auswanderte, wurde die Entwässerung zur reinen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die Staat und Großgrundbesitzer finanzierten. Letztere stellten aber rasch ihre Zahlungen ein, sodass Mulvanys Projekt ein jähes Ende fand. Enttäuscht quittierte er den Dienst und wanderte 1854/55 nach Deutschland aus. Zwischendurch wird er sich längere Zeit in England und Wales aufgehalten haben, um die Technologien des Bergbaus kennenzulernen, die dort weiter fortgeschritten waren als sonstwo.
Mulvany als Bergbauunternehmer
Es war eine Gruppe irischer Bergbau-Investoren, in deren Auftrag er nach Düsseldorf kam, wo er als erstes in Pempelfort ein stattliches Haus kaufte. Ziel seiner Arbeit war es, seine Auftraggeber zu Mitspielern im Ruhrbergbau zu machen. Es wurde Grund gepachtet und Rechte erworben, und Mulvany gründete die Zechen Hibernia und Shamrock. Mulvany holte englische Experten, die dafür sorgten, dass der Abbau in diesen Zechen um ein Vielfaches effizienter war als in allen anderen Kohlebergwerken der Region. Und weil das Geschäft äußerst lukrativ war, unternahm er Zechengründungen auf eigene Rechnung und gründete mit weiteren Unternehmern die Preußische Bergwerks- und Hütten-Aktiengesellschaft (PBHAG). Die unterhielt nicht nur die Zechen Hansa, Zollern und Erin, sondern auch einige Erzbergwerke und Eisenhütten.
Bald erkannte der umtriebige Mann, der von Beginn an auch in verschiedenen Verbänden Lobbyarbeit machte, dass die Logistik bei der Steinkohle ein entscheidender Erfolgsfaktor war. Und zwar die auf dem Wasser. In der Folge skizzierte er eine Fülle an Projekten zum Bau von Kanälen, zur Begradigung von Ruhr und Rhein und schließlich auch zum Bau von Häfen. Sowohl der Bau des Rhein-Herne-Kanals, als auch die Begradigung der Emscher basieren auf Mulvanys Ideen. Die verrückteste aller seiner Ideen aber war die für einen neuen Hafen Düsseldorfs.
Mulvany als Logistiker
Dass überhaupt Häfen mit überregionaler Bedeutung oberhalb von Köln entstanden, hat mit der sogenannten „Mainzer Akte“ zu tun, mit der das Stapelrecht für den gesamten Unterrhein endgültig abgeschafft wurde. Bis dahin musste Handelsschiffe ihre Waren drei Tage lang im Hafen einer Stadt mit Stapelrecht (also hier Köln) zum Verkauf zu besonders günstigen Preisen anbieten. Davon hatte Köln über Jahrhunderte profitiert, und letztlich ist Köln nach dem Ende des Mittellalters nur durch dieses Recht zur Metropole geworden. Denn Händler, die ihre Güter nicht drei Tage lang festlegen wollten, konnten sich freikaufen, was die Schatullen der Stadt kräftig füllte. Das Ende des Stapelrechts für Mainz und Köln im Jahr 1868 war die Geburtsstunde der modernen Rheinschifffahrt.
Wohlgemerkt: Vor der Erfindung der Dampfschifffahrt! Plötzlich wurden die Lastensegler immer größer, und auch die getreidelten Kähne brauchten mehr Wassertiefe und Platz an den Kais zum Löschen und Beladen. Städte am Niederrhein, allen voran Duisburg, Düsseldorf und Neuss befestigten stadtnahe Ufer und/oder bauten Hafenbecken. Die waren vor allem als Sicherheitshäfen („safe haven“) gedacht, in die Schiffe bei Hochwasser verbracht werden konnten. In Düsseldorf lag der erste Sicherheitshafen in der Senke östlich der heutigen Kunstakademie. Später entstand der „Alte Hafen“ mitten in der Altstadt.
Den nächsten Schub für Handel und Transport gab die Gründung des Deutschen Reiches im Jahr 1871, und in Düsseldorf wurde die Frage nach dem Bau eines Hafens immer dringender. So verfasste Mulvany 1884 eine Denkschrift, in der zunächst analysierte, ob sich die Golzheimer Insel als Platz eignen könnte. Das Gebiet zwischen dem heutigen Fortuna-Büdchen und dem Yachthafen an der Theodor-Heuss-Brücke war nämlich damals durch einen Altrheinarm von der Stadt getrennt, und die Idee lag auf der Hand, diesen Flussarm zu erweitern, zu vertiefen und mit Kaianlagen zu versehen. Viel radikaler aber war seine zweite Idee. Er schlug vor, einen Kanal von Alt-Heerdt bis Niederlörick für die Schifffahrt zu nutzen und den eigentlich Rhein zum Hafen zu machen.
Er selbst hat die Denkschrift nicht mehr vorlegen können, weil er am 30. Oktober 1855 starb, aber sein Sohn sorgte dafür, dass die Düsseldorfer Stadtväter davon Kenntnis erhielten. Im November 1889 entschieden die jedoch, den Hafen auf der Carl-Theodor-Insel anzulegen – die entsprach in etwa dem Gebiet, das wir heute Lausward nennen. Der am weitesten östlich gelegene Altrheinarm wurde teils als Hafenbecken genutzt, der Rest zu geschüttet. Zwei weitere Becken entstanden auf dem Gebiet, das übrigens gleich ans Schienennetz angeschlossen wurde, was damals bei Häfen noch lange nicht selbstverständlich war. So kam es, dass Oberkassel, Niederkassel, Heerdt und Lörick nicht zur Insel wurden.
Schreibtisch des Ruhrgebiets
Auch wenn Mulvany in Herne eine tolle Villa bauen ließ, gelebt hat er in seinen letzten 30 Jahren immer in Düsseldorf. Und er fühlte sich dieser Stadt so verbunden, dass er alle Verwaltungen seiner Unternehmungen nach Düsseldorf holte, was wiederum dazu führte, dass auch andere Firmen aus dem Revier ihre Büros hier einrichteten. Das lag vor allem daran, dass die schönste Stadt am Rhein damals noch weitgehend frei von schmutziger Industrie war und jede Menge kultureller Einrichtungen und ein reges gesellschaftliches Leben bot. Davon war im seinerzeit noch ziemlich ländlichen Ruhrgebiet keine Rede. Und weil der Zustand bis weit über die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts so blieb, erwarb sich Düsseldorf den schönen Titel „Schreibtisch des Ruhrgebiets“.
[Titelfoto: Bildarchiv der Stadt Herne]